DAS ARCHIV DES LITAUISCHEN KULTURINSTITUTS IN DEUTSCHLAND

Dr. Vincas Bartusevičius

Zur Lage

Das 1981 gegründete Litauische Kulturinstitut ist eine Einrichtung der litauischen Flüchtlinge, die sich die Sicherung der Spuren dieser Gruppe in Deutschland zu einer ihrer Aufgaben gemacht hat. Dazu ein paar allgemeine Bemerkungen.

1. Das Leben der Flüchtlinge ist wenig beständig, genau so verhält es sich mit ihrem Hab und Gut, mit dem, was sie schaffen, sammeln und aufbewahren. Man muss manchmal sehr auf der Hut sein, um wertvolle Nachlässe zu sichern, um sie vor dem Untergang zu retten. Es gibt viele Beispiele, wo mühsam gesammelte Bestände einfach auf dem Müll landen, kurz nachdem die betreffenden Sammler gestorben waren. Demzufolge bedürfen die Bemühungen, das kulturelle Erbe zu erhalten und vor der Vernichtung zu bewahren, einer planmäßigen und systematischen Vorgehensweise.

2. Wenn wir von den Litauern, die aus dem einen oder anderen Grunde im 20. Jahrhundert oder auch schon davor nach Deutschland gekommen sind, reden und nach ihren Spuren suchen, so können wir neben der flüchtigen Gruppe der Diplomaten, Studenten, Künstler zwei ungleich größere und kompakter lebende Gruppen erkennen, die auch Spuren hinterlassen haben.

a) Einmal die kleinere Gruppe von Auswanderern (Wirtschaftsflüchtlingen), die ihr Land vor dem 1. Weltkrieg oder auch kurz danach verließ. Vor allem im Ruhrgebiet (Dortmund) fand sich eine beträchtliche Zahl solcher litauischen Auswanderer, die ein reges Vereins- und Kulturleben geführt haben. Noch vor einigen Jahrzehnten gab es um Dortmund aktive Nachkommen dieser Auswanderer, die auch wichtiges Material aus der Gründerzeit der litauischen Vereine und ihrer Tätigkeit gesammelt und erhalten haben. Nach dem Tod des Vorsitzenden Evaldas Lukošaitis, der lange Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg einer Ortsgruppe der Litauischen Volksgemeinschaft vorgestanden hat, wurde das von ihm aufbewahrte Archivmaterial nach Litauen verbracht. Es wird jetzt wohl im Litauischen Nationalmuseum befinden..

b) Zum anderen haben wir die Gruppe der Kriegsflüchtlinge, die während oder nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland Zuflucht gefunden haben. Es ist eine Gruppe in einer Größenordnung von 70.000 bis 80.000 Personen. Sie waren zunächst weitgehend in Flüchtlingslagern, den sogenannten DP-Camps, untergebracht und führten ein recht reges kulturelles Leben. Das gesamte umfangreiche Archivmaterial dieser DP-Lager wurde kompakt in die USA verbracht und befindet sich in dem Litauischen Forschungs- und Studienzentrum in Chicago (Lithuanian Research and Studies Center, 5600 Claremont Ave, Chicago, IL 60636-1039, E-M.: lithuanianresearch@ameritech.net, http://www.lithuanianresearch.org).Es handelt sich um 234.489 Seiten Dokumente der Lagerverwaltung und -organisation, des litauischen Vertriebenenverbandes, der sonstigen verschiedenen Organisationen, der Bildungseinrichtungen.

Weitere Bestände der Organisationen und Parteien sowie aus privaten Nachlässen befinden sich in verschiedenen anderen Archiven und Museen, wie z. B. dem Kulturarchiv der Amerikalitauer ALKA (Amerikos lietuvių kultūros archyvas, 37 Mary Crest Dr., Putnam, CT 06260, www.litua.com/lt/zinynas/alka), dem Balzekas-Museum in Chicago (Balzekas Museum of Lithuanian Culture, 6500 S. Pu-laski Road, Chicago, IL 60629, http://www.balzekasmuseum.org/) oder dem Museum und Archiv der Litauer Kanada, (Lithuanian Museum-Archives, 2185 Stavebank Rd., Mississauga, ON L5C 1T3, http://www.klb.org/klma_LT.htm) um nur die wichtigsten zu nennen.

Teile der Gesamtbestände, sowohl aus Amerika als auch aus Europa, insbesondere Nachlässe von Privatpersonen, kehren jetzt langsam aber stetig nach Litauen zurück. So findet sich kaum ein Archiv oder eine Universität in Litauen, die kein diesbezügliches Material besitzt. Dazu gehört auch das Institut der litauischen Auswanderer in Kaunas (The Lithuanian Emigration Institute. Daukanto g. 25, 44249 Kaunas, www.iseivijosinstitutas.lt), das sich die Erhaltung und Erforschung des gesamten Nachlasses der litauischen Emigration zum Ziel gesetzt hat.

Nicht zu vergessen ist, dass Spuren des Aufenthaltes der Kriegsflüchtlinge wohl in den Stadtarchiven einer jeden Stadt in Deutsch-land, in denen diese Flüchtlinge gelebt haben, zu finden sind. Davon zeugen immer zahlreichere von Deutschen geschriebene Monographien über einzelne DP-Lager.

Wenn es auch utopisch ist, eine zentrale Stelle zu fordern, an der diese Bestände in Litauen untergebracht werden sollten, so wäre die Erstellung eines Katalogs, in dem die Fundstellen der Bestände verzeichnet sind, umso wünschenswerter, notwendig und auch realisierbar.

Das Archiv des Litauischen Kulturinstituts

Das Archiv des LKI besteht aus drei unterschiedlichen Teilen.

1. Zum einen enthält es Archivmaterial der Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges. Es handelt sich hauptsächlich um Bestände der Zeit seit 1950. Im Einzelnen enthält das Archiv des LKI:

a) Akten der Zentralorgane, der Ortsverbände, der litauischen Organisationen der Litauischen Volksgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland und Nachlässe von Privatpersonen (insgesamt über 300 Archiv-Ordner). Darin ist enthalten:

• Der Schriftverkehr des Bundesvorstandes der Litauischen Volksgemeinschaft mit litauischen und deutschen Dienststellen, den Ortsverbänden und Privatpersonen zu allen möglichen Fragen.

• Informationen über die Tätigkeit des Bundesvorstandes: Protokolle von mehr als 550 Sitzungen des Bundesvorstandes, Veranstaltungen, Kulturtage, Druckerzeugnisse, Unterhalt des Litauischen Gymnasiums, Finanzen.

• Akten der anderen Zentralorgane der Volksgemeinschaft: des Zentralrats (Protokolle seiner Sitzungen), der Kontrollkommission, des Ehrengerichts, der Wahlkommission des Zentralrates.

• Informationen über die Ortsverbände: Organe, Mitglieder, Tätigkeit.

• Informationen über die litauischen Sonntagsschulen: Anzahl, Lehrer, Schüler.

• Im Archiv sind Dokumente verschiedener bereits aufgelöster oder auch noch bestehender Ortsverbände deponiert: Lübeck, Memmingen, Köln u.a.

• Auch von div. litauischen Organisationen liegt Archivmaterial vor: dem Litauischen Roten Kreuz, dem Litauischen Jugendbund, dem Litauischen Katholischen Studentenverband „Ateitininkai“, der Litauischen Kulturgesellschaft, der Föderation der Litauischen Frauen, Material des Exekutivrates des Obersten Komitees zur Befreiung Litauens (7) u.a.

• Die Bestände von Privatpersonen sind vom Umfang her geringer und machen teilweise nur Teile des jeweiligen Gesamtnachlasses aus:

so von den Mitgliedern des Obersten Komitees zur Befreiung Litauens Dr. Petras Karvelis (12) (Der Hauptteil seines Nachlasses befindet sich im Litauischen Zentralen Staatsarchiv in Vilnius), Juozas Bataitis (6), Tomas Šidiškis (4), und Jonas Norkaitis, sen., der Vorsitzenden der Litauischen Volksgemeinschaft Jonas K. Valiūnas und Arminas Lipšys, des Altphilologen Prof. Dr. Antanas Rukša (10), des Kunsthistorikers Dr. Povilas Reklaitis (10) (der Hauptteil des Nachlasses der Letztgenannten befindet sich im Herder-Institut, Marburg), des Historikers Artur Hermann, des Holzschnitzers Stasys Motuzas, des Chorleiters Motiejus Budriūnas, der Privatnachlass des in München verstorbenen ehemaligen litauischen Innenministers Kazimieras Olekas (1880–1971) mit der Handschrift seiner Memoiren, der aktiv politisch und gesellschaftlich Tätigen Stepas Povilavičius-Vykintas, Simas Miglinas, Justinas Lukošius, und einer Vielzahl von Ordnern mit Zeitungsausschnitten von Jonas Vėgėlė aus den USA.

• Das vom Bundesvorstand seit 1951 herausgegebene Informationsblatt „Vokietijos LB valdybos Informacijos“ mit über 500 Nummern und über 10.000 engbedruckten DIN A4 Seiten stellt eine Quelle besonderer Art dar. In ihnen spiegelt sich die gesamte Tätigkeit der organisierten Litauer in Deutschland der letzten 60 Jahren wider.

• Das Archiv des LKI besitzt auch eine umfangreiche Sammlung der Informationsblätter verschiedenster Art sowie sonstiger Zeitschriften (literarischen, pädagogischen, Organisationszeitschriften) auch aus der DP-Lagerzeit, also aus der Zeit von 1945 bis 1950, er-schienen in ganz Europa.

• b) Eine weitere große Einheit bildet das Archiv der Litauischen Katholischen Mission, deren Hauptbestand von dem langjährigen Direktor der Mission, Pater Alfonsas Bernatonis, übernommen und durch die Bestände der ihm folgenden Direktoren und Bischöfe (300 Archiv-Ordner) ergänzt wurde. (Das Archiv der Delegatur des Hl. Stuhles in Deutschland befindet sich im ALKA Archiv):

• Das Archiv des Paters Alfonsas Bernatonis enthält eine Fülle von Akten mit Schriftverkehr, seelsorgerliche Schreiben, Abschriften der von den litauischen Priestern ausgestellten Geburts-, Tauf-, Heirats- und Todesurkunden, Informationen über das religiöse Leben der Flüchtlinge, ihre Gemeinden, die religiöse Presse, das karitative Wirken, über die Priester und ihr Wirken.

• Die Archive der anderen Direktoren der Litauischen Katholischen Mission in Deutschland: Prel. Dr. Jonas Aviža, Pater Dr. Konstantinas Gulbinas und Prel. Antanas Bunga.

• Die Archive von einzelnen litauischen katholischen Priestern: Bronius Liubinas, Dr. Jonas Petraitis, Vaclovas Šarka, Viktoras Kaleckis u.a.

• Die Archivbestände des ehem. Litauischen katholischen Zentrums in Bad Wörishofen (des Büros des ersten Bischofs für die Europalitauer Dr. J. Brazys, Prel. Dr. Petras Celiešius).

• Das umfangreiche Archiv des zweiten und letzten litauischen katholischen Bischofs für die Europalitauer Dr. Antanas Deksnys.

• Anzumerken ist: während das LKI über das Wirken der litauischen katholischen Kirche verhältnismäßig viel Material sichern konnte, so hat es über die litauische Evangelisch-Lutherische Kirche fast nichts in seinen Beständen (8 Archivordner). Einiges besitzt die Witwe des Pfarrers Martn Klumbies in Bensheim, möchte aber das Material nicht herausgeben. In letzter Minute ist es gelungen, von der Witwe des Pfarrers Fritzas Skėrys einige Duzende alter liturgischer Bücher zu erhalten um sie sicherzustellen. Einiges Material besitzen die Familien Richard Baliulis in Hamburg und Bernhard Schmidt in Bad Zwischenahn

2. Der zweite Teil des Archivs besteht aus dem Nachlass des litauischen Diplomaten Dr. Albertas Gerutis (1905–1985), der in Bern gelebt, aber vielfältige Beziehungen zu Deutschland und den hier wirkenden Litauern unterhalten hat. Der Bestand seines Nachlasses im Archiv des LKI umfasst 200 Archiv-Ordner. (Der andere Teil seines Nachlasses – mit dem diplomatischen Archiv – befindet sich in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Vilnius). Dabei handelt es sich einmal um:

• Teile des Privatarchivs von Dr. Albertas Gerutis. Der Inhalt ist sehr unterschiedlich.

• Teile des Archivs des schillernden litauischen Diplomaten Juozas Gabrys, der insbesondere während des Ersten Weltkrieges im Ausland, vor allem in der Schweiz, sehr aktiv war. Hier findet sich interessantes Material zu den Ereignissen jener Zeit, den Bemühungen, den litauischen Staat wiederzuerrichten, die litauischen Aktivitäten im Ausland usw. Hier fand man z.B. die restlichen Teile seiner Memoiren, die bis dahin unbekannt waren. Sie wurden im letzten Jahr vom Institut für die Auslandslitauer in Kaunas veröffentlicht. (Dieser Teil ds Archivs wurde 2010 der Handschriftenabteilung der Universität Vilnius übergeben)

3. Museale Elemente:

Die Museumsabteilung des LKI befindet sich noch im Aufbau. Sie besitzt: Uniformen, Utensilien der litauischen Botschaft und des Konsulats in der Schweiz, Schnitzereien litauischer Volkskünstler, Webereien mit nationalen Mustern, eine Sammlung von Bildern der nach dem Krieg in Deutschland lebenden litauischen Maler.
 

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Das Archiv des Litauischen Kulturinstituts besaß und besitzt keine bezahlte Kraft, insofern konnte es noch nicht ganz erschlossen werden. Aufgebaut und gegenwärtig betreut wird es von Vincas und Anna Bartusevičius, die vor allem auch die Neuzugänge ordnen.

Bei der Gründung des Archivs ging es zunächst darum, die vorhandenen Bestände zu sichern und zu lagern. Durch einen glücklichen Zufall konnte später ein pensionierter und passionierter Archivar, Liudas Kairys, im Archiv aushelfen, der das Material aus den Kisten und Leitzordnern fein säuberlich in entsprechende Archivkästchen legte und sie beschriftete, so dass das Material jetzt wohl geordnet da steht, aber es fehlt eine weitergehende Erschließung durch Erstellung eines feineren Inhaltsverzeichnisses.

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